Der kleine Ort Gresso im Tessiner Onsernonetal liegt in erhöhter Lage, wie die meisten solcher Dörfer auf der Alpensüdseite, an den Hang geklebt, die Häuser eng aneinander gebaut, als müssten sie sich gegenseitig erwärmen. Maren Heyne hat dem auf 999 Metern über Meer gelegenen Flecken einen
Text-Bildband gewidmet. Das 1991 im Berner Zytglogge Verlag erschienene Buch portätiert verstorbene und lebende Bewohner, erzählt vom kargen Leben in den vergangenen Jahrhunderten, von Auswanderern, schrägen Vögeln, Familienzwisten, dem Wandel der Zeit. Der Tessiner Schriftsteller Giovanni Orelli begleitet die Reportage mit eigenwilligen Kurztexten. Sie verleihen dem Œuvre eine subtil-herbe Note. Gresso darf als eines der abgelegensten Dörfer des Südkantons bezeichnet werden, fern jeglicher Tourismushektik. Wem Locarno zu betriebsam und die Sahara zu einsam ist, dürfte in Gresso auf seine Kosten kommen, vorausgesetzt, er weiss mit der Steilheit der Bergwege etwas anzufangen.
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Alpe Bassa, 800 Höhenmeter über Gresso (TI) im Onsernonetal |
Im besagten Buch liess mich auf Seite 132 eine kleine Randbemerkung aufhorchen. Heyne erwähnt darin einen gewissen
Walter «Wally» Schirra, dessen Vorfahren aus dem Onsernonetal – genauer: aus Loco – stammten. Schirra erlangte in Raumfahrtkreisen und darüber hinaus eine nicht unzweifelhafte Berühmtheit. Einerseits war «Wally» der erste Astronaut, der in den drei Raumfahrtprogrammen Mercury, Gemini und Apollo den Weltraum besuchte. Andererseits war er auch Kampfpilot und flog für die US-Marine unter anderem Einsätze im Koreakrieg. Ob der am 3. Mai 2007 im Alter von 84 Jahren verstorbene Mann mit Tessiner Wurzeln seine zerklüftete Heimat je einmal besucht hat, ist nicht bekannt. Im Grunde gibt es jedoch kaum einen grösseren Gegensatz zwischen dem einst ärmlichen Milieu des Onsernone und den Weltraumspaziergängen des Walter Schirra.
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Walter «Wally» Schirra, Enkel von Emigranten aus dem Onsernonetal. Foto: Courtesy by NASA |