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Channel: Der Schrittler
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Wanderungen durch die Schweiz – 27

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von Karl Spazier, 1790

Schul- und Religionszustand in Basel

Ein sehr wichtiger Punkt überall, besonders aber in einem Freistaate, wo zunächst für gesunden Anwachs der ersten Bürger desselben mit unablässigem Fleiss gesorgt werden muss, damit nicht auf dem öffentlichen Schauplatze, wo kräftige Rollen gespielt werden sollen, matte Schwächlinge auftreten, ist: die Erziehung der Kinder. Die Gefahr ist sehr gross, denn der Staatskörper verliert seinen besten Nervensaft, wenn diese entweder ganz vernachlässigt, oder, welches beinahe noch ärger ist, übelverstanden und übelgeleitet wird; welches aber immer der Fall ist, wenn man den simplen Weg der Natur verlässt und zu Künsteleien seine Zuflucht nimmt. Von diesem Fehler soll man nun, wie Leute versichern, die der Temperatur der Familien in Basel kundig sind, die hiesigen vornehmen Bürger nicht ganz freisprechen können. Man überlässt jetzt mehr als jemals die Erziehung und den Unterricht den Informatoren und französischen Gouvernanten, deren Anzahl leider auch hier schon in Menge zu wachsen anfängt; oder aber man schickt sie fort in Institute zu Mühlhausen, Colmar und anderswo.

Ich bin immer geneigt zu glauben, dass man von der Anzahl der Hofmeister und Französinnen in einer Stadt ziemlich sicher auf häusliche Kälte und verminderte Vater- und Mutterliebe schliessen könne, die sonst gern und häufig sich in der Wirksamkeit auf die Kinder zu Tage zu legen pflegt. Man weiss ja, dass die armen Hofmeister oft nur da sind, den dienenden Hausstand glänzender zu machen. Man treibt mit ihnen eine Art von Luxus, wälzt ihnen für ein Spottgeld die elterlichen Lasten, alle Sorge und Verdruss auf den Hals, lässt sie bei ihren Edukationsgeschäften* wohl noch gar nebenher Tapeten malen und Tische mit Wachstuch überziehen und behält sich selbst den angenehmern Genuss, so wie das Vorrecht prinzipaliter** tadeln zu können, vor. Zusehen ist freilich gemächlicher als arbeiten; aber keine Arbeit in der Welt bleibt unbelohnter, als die, wenn ein Mann froh sein muss, dass er mit der aufgebürdeten Last seine eigene Person über eine Brücke mit fortschleppt.

Ich habe eine kleine Schrift über das Erziehungswesen, meist auf Basel angewandt, gelesen, welcher die Gesellschaft in Olten den Preis zuerkannt, und die den schon genannten Herrn Frey zum Verfasser hat. Aus dieser würde man die Wahrheit obiger Bemerkung zur Genüge ersehen können, wenn nicht diese nützliche Schrift, der vorgeblichen Ketzerei und dem Atheismus wegen, die ein lauersamer*** Theologe darin gefunden haben will, unterdrückt und dem Publikum vorenthalten worden wäre. – Fortsetzung folgt!

*Erziehungsarbeit [Anm. Moor]
**vor allem [Anm. Moor]
***wachsam

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