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Channel: Der Schrittler
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Wanderungen durch die Schweiz – 57

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von Karl Spazier, 1790

Überhaupt ist an diesem schönen Gebäude alles so fest, so gross, so zur Einheit verbunden; das erstaunliche Gewölbe dennoch so leicht und freundlich, und der Wurf überall so kühn und edel; dass ich von der blossen Einwirkung aller der Gegenstände, die mich umgaben, zu hohen Gefühlen der Andacht gehoben wurde. So sollten, wenn es möglich wäre – will man sie doch so nennen – die Gotteshäuser überall sein; in welchen denn aber auch die innere gottesdienstliche Handlung dem Äussern entsprechen müsste. Aber wie wenig mag auch selbst an diesem Orte den gemeinen Haufen der Katholiken der Gedanke an Gott und seine Grösse durchdringen! In ihren religiösen Versammlungen – so wie auch in den Zusammenkünften der Herrnhuter – wird ja leider an keinen zunächst weniger, als an das höchste Wesen gedacht. Was die Leute mehrheitlich versammelt, ist ganz etwas anders; Gewohnheit und stumpfe Bigotterie, die sie, habe sie auch noch einen so seltsamen Gegenstand, Andacht nennen.

An einem Morgen, schon um vier Uhr, sah ich eine Menge grösstenteils Weiber und Mädchen mit ihren Rosenkränzen aus der Kirche kommen; sie knieten noch eine Weile vor kleinen irdenen Weihgefässen, die auf dem grossen Platze dicht an der Kirche in Menge umherstanden, beteten davor und rührten einen Stab darin um. Sodann gingen sie stier und dumm ihres Weges fort, und bewegten noch weit auf der Strasse die Lippen, die freilich leichter als das Herz zu bewegen sind. – An einem nicht schlechten Hause las ich sogar die Inschrift:

Das Ave Maria ist im Himmel erdacht,
Das Gott Vater Unser nur auf Erden gemacht.

Und was dergleichen mehr ist.

Solothurn lernt man bald auswendig. Für einen Fremden, der nun gerade nicht etwa an Familien empfohlen ist, findet sich, wenn er den ersten Heisshunger der Neugierde gestillt hat, hier auch eigentlich Nichts, was ihn für einen längern Aufenthalt weiter entschädigen könnte. Also machte ich mich bald wieder auf, um desto eher nach dem weit interessantern Bern zu kommen. – Fortsetzung folgt!

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