von Karl Spazier, 1790
Biel, das etwa sechs und ein halbes tausend Einwohner haben mag, liegt dicht an den Vorhügeln des Jura, wo eine so reichliche Quelle entspringt, dass nicht allein alle Brunnen in der Stadt und in den Häusern mit Wasser versorgt werden, sondern das davon noch ein ansehnliches Mühlenwerk getrieben werden kann. Die Thielle, ein Flüsschen, das nahe bei Nidau aus dem See kommt, erleichtert den Transport auf der Aare und von dieser auf den Rhein.
Die Stadt und das Gebiet Biel hat sehr grosse Freiheiten, obgleich der Bischof von Basel sich hier den Huldigungseid schwören lässt und sein Deputierter, Maire, ein protestantischer Ratsherr von Biel das Präsidium im Rat hat, wovon der kleine aus vierundzwanzig, der grosse aber aus vierzig Gliedern besteht. Es übt Souveränitätsrechte aus, schliesst nach Gutdünken Bündnisse und Verträge mit den übrigen Kantonen, und kann, ausser der Kriminalrechtsprechung, nach Gefallen Gesetze geben und abändern, und Truppen ausrüsten, die die Welt aber wohl nie erschüttern werden.
Vor dem Tore nach dem See zu, nahe an der neu angelegten Indienne-Fabrik* ist das Haus, das der verschwebte Cagliostro** ehemals bewohnte, der unter uns neuerdings so viel Zungen und Federn in Bewegung gesetzt hat, und nun die Katastrophe seiner langen Farce vielleicht unter den Augen des heiligen Vaters erwartet. Fremde pflegen wohl gar seine Zimmer zu besuchen. Ich weiss aber nicht, was man davon haben kann, die Wände zu betrachten, an welche er vielleicht wer weiss wie oft ein lautes Gelächter über die Narrheit seiner leichtgläubigen Zeitgenossen hinangebrüllt haben mag. Dieser arbeitende Stier, wie er sich selbst zu nennen beliebte, der zuweilen mit gar zu unerwarteter Horn- und Stosskraft unter die Leute trat, hätte bald zu guter Letzt noch von einem alten Schweizeroffizier, der seine uns gezogenen Sarkasmen über den Rat von Bern sehr übel empfand, auf öffentlicher Strasse in Biel Schläge bekommen. Ein Zweikampf, wozu ihn der von ihm beleidigte Maler Lauterburg herausgefordert hatte, den er aber der Obrigkeit geziemend anzeigte, war die nächste Veranlassung, dass der Rat von Biel ihn zum Aufbruch nötigte. Nach den Gesetzen blieb das Recht allerdings auf seiner Seite. Aber von der Verachtung aller Vernünftigen begleitet, die seiner Gaukelspiele sowie seines plumpen Betragens in Gesellschaften längst überdrüssig geworden waren, reiste er von dannen.– Fortsetzung folgt!
*Fabrik zur Bemalung und Färbung von Baumwollstoffen [Anm. Moor]
**Alessandro Graf von Cagliostro (Pseudonym für Giuseppe Balsamo, lebte von 1743 bis 1795 und war ein italienischer Okkultist, Alchemist und Abenteurer. Als begabtem Hochstapler und Scharlatan gelang es ihm immer wieder, das Vertrauen einflussreicher Zeitgenossen zu erlangen und auszunutzen. Cagliostro gab sich als geschäftstüchtiger Begründer einer ägyptischen Freimaurerei aus, die als Vorläufer des Memphis-Misraïm-Ritus gilt. Das Leben Cagliostros lieferte den Stoff für das Romanfragment Der Geisterseher von Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethes Werk Der Gross-Kophta. [Wikipedia]
Biel, das etwa sechs und ein halbes tausend Einwohner haben mag, liegt dicht an den Vorhügeln des Jura, wo eine so reichliche Quelle entspringt, dass nicht allein alle Brunnen in der Stadt und in den Häusern mit Wasser versorgt werden, sondern das davon noch ein ansehnliches Mühlenwerk getrieben werden kann. Die Thielle, ein Flüsschen, das nahe bei Nidau aus dem See kommt, erleichtert den Transport auf der Aare und von dieser auf den Rhein.
Die Stadt und das Gebiet Biel hat sehr grosse Freiheiten, obgleich der Bischof von Basel sich hier den Huldigungseid schwören lässt und sein Deputierter, Maire, ein protestantischer Ratsherr von Biel das Präsidium im Rat hat, wovon der kleine aus vierundzwanzig, der grosse aber aus vierzig Gliedern besteht. Es übt Souveränitätsrechte aus, schliesst nach Gutdünken Bündnisse und Verträge mit den übrigen Kantonen, und kann, ausser der Kriminalrechtsprechung, nach Gefallen Gesetze geben und abändern, und Truppen ausrüsten, die die Welt aber wohl nie erschüttern werden.
Vor dem Tore nach dem See zu, nahe an der neu angelegten Indienne-Fabrik* ist das Haus, das der verschwebte Cagliostro** ehemals bewohnte, der unter uns neuerdings so viel Zungen und Federn in Bewegung gesetzt hat, und nun die Katastrophe seiner langen Farce vielleicht unter den Augen des heiligen Vaters erwartet. Fremde pflegen wohl gar seine Zimmer zu besuchen. Ich weiss aber nicht, was man davon haben kann, die Wände zu betrachten, an welche er vielleicht wer weiss wie oft ein lautes Gelächter über die Narrheit seiner leichtgläubigen Zeitgenossen hinangebrüllt haben mag. Dieser arbeitende Stier, wie er sich selbst zu nennen beliebte, der zuweilen mit gar zu unerwarteter Horn- und Stosskraft unter die Leute trat, hätte bald zu guter Letzt noch von einem alten Schweizeroffizier, der seine uns gezogenen Sarkasmen über den Rat von Bern sehr übel empfand, auf öffentlicher Strasse in Biel Schläge bekommen. Ein Zweikampf, wozu ihn der von ihm beleidigte Maler Lauterburg herausgefordert hatte, den er aber der Obrigkeit geziemend anzeigte, war die nächste Veranlassung, dass der Rat von Biel ihn zum Aufbruch nötigte. Nach den Gesetzen blieb das Recht allerdings auf seiner Seite. Aber von der Verachtung aller Vernünftigen begleitet, die seiner Gaukelspiele sowie seines plumpen Betragens in Gesellschaften längst überdrüssig geworden waren, reiste er von dannen.– Fortsetzung folgt!
*Fabrik zur Bemalung und Färbung von Baumwollstoffen [Anm. Moor]
**Alessandro Graf von Cagliostro (Pseudonym für Giuseppe Balsamo, lebte von 1743 bis 1795 und war ein italienischer Okkultist, Alchemist und Abenteurer. Als begabtem Hochstapler und Scharlatan gelang es ihm immer wieder, das Vertrauen einflussreicher Zeitgenossen zu erlangen und auszunutzen. Cagliostro gab sich als geschäftstüchtiger Begründer einer ägyptischen Freimaurerei aus, die als Vorläufer des Memphis-Misraïm-Ritus gilt. Das Leben Cagliostros lieferte den Stoff für das Romanfragment Der Geisterseher von Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethes Werk Der Gross-Kophta. [Wikipedia]