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Channel: Der Schrittler
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Wanderungen durch die Schweiz – 113

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von Karl Spazier, 1790

Niemand, den das Gefühl des Edlen und Schönen glücklich macht und der ein Herz hier mitzubringen hat, betritt ohne ganz besonderen Anteil das Ufer dieser Insel, auf welcher sich der hier ungestörte Geist dieses grossen Mannes, wer weiss wie oft, zu grossen Ideen aufschwang, und wo ein frommes Herz sich in süsser Ahnung vollendeter Menschheit verlor. Nie hat wohl ein Schriftsteller die Herzen mit so sanftem Andrängen zu sich hingezogen, als er. Vermindert, aber nie verwischt werden die Eindrücke, welche wir in der Gesellschaft dieses einzigen Mannes empfangen, der so kindlich, so natürlich, so gar nicht preziös* war, und bei aller angenommenen Sonderlichkeit, wie wir es nennen, doch nie der Natur aus dem Wege wich. Mit aller Schönheit weiblicher Herzlichkeit zaubert er uns in die süssesten Träume des Paradieses hinüber, und wir folgen ihm, wie man dem redlichen Freunde folgt, auch wenn er uns in die Irrgänge einer kränkelnden Phantasie führt. Vorzüglich mag wohl das Interesse an Allgemeinheit darum gewinnen, weil er auf einen Punkt so kräftig hinwirkte, wo alle Jünglinge und besonders Weiber nicht zu verfehlen sind, auf Liebe. Da diese Rousseau’sche Liebe eine Art von Andacht ist, so ist ihre Stärke und damit verbundene Schwärmerei umso erklärbarer. Zudem hat er den Schwachheiten etwas Heroisches gegeben. Nun gefällt sich jeder in diesem Heldenges fühl, und trägt den Dank über auf den Mann, der ihm so leicht zu dem Gefühl einer gewissen Grösse verhilft. Ein solch willkommenes Gefühl gibt man denn nie ganz auf, und noch in späterem Alter denkt man daran mit Vergnügen zurück. Daher hängen auch selbst alte Leute mit Interesse an Rousseau, weil er ihrem Herzen noch in der letzten liebeleeren Periode ihres Lebens unvermutete Berührbarkeit gibt. – Fortsetzung folgt!

*gekünstelt

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